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WINTERREISE - mit Nataša Mirković & Matthias Loibner

Drüben hinterm Dorfe
"Wunderlicher Alter! Soll ich mit Dir geh'n?
Willst zu meinen Liedern deine Leier drehn?"
Aus "Der Leiermann", Schluss der "Winterreise"


Die Verbindung von Schuberts Winterreise zur Drehleier entstand ganz selbstverständlich durch den "Leiermann", der im letzten Lied des Zyklus zumeist als Sinnbild für Wahnsinn, Tod und Erstarrung verstanden wird.

In den Texten Wilhelm Müllers faszinierte mich von Anfang an die ständige Flucht des
lyrischen Ichs vor der inneren Zerrissenheit in eine (Todes- und Liebes-) Sehnsucht, deren reale Unstillbarkeit in Schuberts Vertonung erahnbar wird.
Als »Leiermann« war ich bei der Herausforderung, die zahlreichen vor allem harmonischen Nuancen dieser musikalischen Ahnung zu interpretieren, von vornherein zum Scheitern verurteilt. So wird das Ende der Winterreise zum Ausgangspunkt und rückt damit die Unerfüllbarkeit und Einsamkeit in den Vordergrund dieser Fassung für Gesang und Drehleier.
Matthias Loibner


Ging nur die dritt' erst hinterdrein!
Im Dunkeln wird mir wohler sein.
aus "Die Nebensonnen"


Der Blumen im Winter sah Die Enttäuschung und den Wunsch nach Erfüllung in beiden Händen festhaltend - dieses Bild innerer Zerrissenheit offenbart sich in den Worten Müllers und in der Vertonung Schuberts in Müllers Todesjahr 1827. In einer einmaligen Seelenverwandtschaft tauchten beide ihre Sehnsucht in ihre Kunst, um auf zwei Wegen Eines zu sagen. Ein unisono der Gefühle fließt in jedem Vers und in jeder musikalischen Phrase. Die Idee des Grazer Regisseurs Ernst M. Binder weckte in mir eine Begeisterung und eine unwiderstehliche magische Anziehung, diese Reise durch diesen Winter der Gefühle anzutreten. Und schon nach wenigen Worten Müllers und einigen von Schuberts Tönen entstand das Bedürfnis, diese Gefühle fragil und nackt und von unnötigem Schmuck befreit zu erzählen, um dem Zuhörer so mit der Stimme als Spiegel zu dienen, und ihn teilhaben zu lassen an der intimen Kommunikation zwischen Müller und Schubert, die im ganzen Zyklus einmalig aus der Tiefe leuchtet.

 
Nataša Mirković
 

Rezensionen

Mit diesem Bild könnte man die Zugangsweise zu diesem Projekt am besten überschreiben. Die Liebe und der Tod, die beiden ewigen Gegenspieler begegnen hier einander als siamesische Zwillinge, die – auch getrennt – doch nicht lassen können voneinander. Als eine Fußnote der Geschichte mag die Tatsache gesehen werden, dass Schubert die letzten Lieder dieses Zyklus erst kurz vor seinem Tod vollendete. Als ob eines sich zum anderen verhängnisvoll verwunschen fügte, wissen wir, dass Müller sich insgeheim wünschte, dass jemand seine Texte vertonen würde. Unklar ist, ob Müller von Schuberts Absicht je erfuhr. Sicher ist, dass sich die beiden nie begegnet sind. Dieser Geschichte entspricht auch die Ausgangsposition von Sängerin Nataša Mirković und dem Drehleiervirtuosen Matthias Loibner. Als ob sie sich nie zuvor begegnet wären,
entstand eine Interpretation der Winterreise, in der Verspieltheit und Klarheit eine Symbiose eingehen von ungeheurer menschlicher Wahrhaftigkeit. Man fühlt sich förmlich umfangen von einer Winternacht, wenn man die beiden hört. Die Schritte im Schnee, lautlos, der Blick zurück, das Gefühl, sie wissen, wovon sie erzählen.
Ernst M. Binder


Frevel!
Ein Monument bürgerlicher Konzertsaalkultur wird niedergerissen!
Wo sonst Kunst-Connaisseure zu dunkel romantischen Klängen den Untiefen der eigenen Seele nachspüren, bleibt diesmal kein Raum für Sentimentalität. Denn die „Winterreise“ in der Fassung von Nataša Mirković und Matthias Loibner ist ein Skelett. Sie führt Text und Musik zum Wesentlichen zurück, zu einer Haltung, die zwischen Lakonik und Pathos changiert und von Schubert bereits in dieser Ambivalenz angelegt wurde. Der Mensch als Spielball der Gefühle, als Leidender des Schicksals und zugleich als dessen Souverän – ein romantischer Topos, der gerne schon mal mit klavierumwölkter Melancholie genossen wird. Diese „Winterreise“ gibt ihm keine Chance. Sie ist mutig und direkt, präsent und im gleichen Moment fragil, eine Näherung an das Poetische, die ehrlicher kaum sein könnte.  
Ralf Dombrowski